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Der Staat zeigt Präsenz: Gesetzesverstöße in Wettbüros, Shishabars, Spielhallen oder Teestuben werden in Essen konsequent verfolgt.
Der Staat ist kein Papiertiger
Treffpunkt kurz vor 21 Uhr an der Zeche Zollverein. Auch an diesem Samstag mischt die Besondere Aufbauorganisation (BAO) Clan in Essen die Szene auf. „Wir haben die Straße zurückerobert“, sagt Bernhard Stratmann von der Hundertschaft. Er steuert den Einsatz heute.
Streife-Redaktion

Wir klopfen mal wieder auf den Busch. Bei jeder Kontrolle registrieren wir massive Verstöße und gehen mit aller Konsequenz dagegen vor. Heute legen wir den Schwerpunkt auf das Glücksspiel“, erklärt der Polizeihauptkommissar und stellvertretende Hundertschaftsführer. Nordrhein-Westfalen hat den kriminellen Clans den Kampf angesagt. In Essen liegt ein Hotspot. Bereitschaftspolizei sowie Kräfte des Zolls und Vertreter des Ordnungsamts haben sich unter dem Industriedenkmal versammelt, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Die Politik der tausend Nadelstiche hat sich in der größten Stadt des Ruhrgebiets bewährt. 699 Clandelikte von kleinen Vergehen bis hin zur bewaffneten organisierten Kriminalität verzeichnete das Landeskriminalamt NRW im Lagebild Clankriminalität 2020. „Wir demonstrieren, dass der Staat nicht schwach ist“, erläutert Stratmann. „Im Gegenteil.“ Immer mehr Leute aus dem Milieu sähen ein, dass es keinen Sinn macht, die Gesetze zu ignorieren.

Schon bei der Vorbesprechung hat Kriminaldirektor Bernd Röser die Vorteile des Konzepts, das auf der Gründung einer Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Ende 2018 beruht, hervorgehoben. „Wir können nun schnell und effektiv gegen die Clankriminalität vorgehen“, betont der BAO-Leiter. Das illegale Treiben zwielichtiger Shishabars, Wettbüros, Spielhallen, Cocktailbars, Teestuben, Fahrzeughändler, Leasingfirmen, Autovermieter, Barbershops usw. werde nicht mehr geduldet. „Der Kontrolldruck steigt. Manche Geschäftsinhaber sind kooperativ, andere geben auf“, berichtet Röser. „Bei uns gilt null Toleranz.“

In Essen und Mülheim stehen derzeit 363 Objekte auf einer Liste von Gewerbebetrieben, die es mit Gesetzen und Vorschriften nicht so genau genommen haben. Regelmäßig wird gecheckt, ob sich die Betreiber endlich an die Regeln halten. „Der niedrigschwellige Ansatz hat sich gelohnt“, bilanziert der gebürtige Ruhrgebietler. Er besitzt sowohl eine kriminalpolizeiliche Vita als auch schutzpolizeiliche Erfahrung. Beides ist in seiner Funktion als BAO-Leiter gefragt.

Der Beamte lobt vor allem die Kooperation mit den Netzwerkpartnern beim Zoll sowie bei der Bezirksregierung, den Staatsanwaltschaften, den städtischen Behörden und der Finanzverwaltung. „Die Erkenntnisse der BAO werden gezielt an die Netzwerkpartner zur Wahrnehmung der Aufgabe in der jeweiligen Zuständigkeit übermittelt. Von dort münden die Erkenntnisse in zahlreiche operative Maßnahmen und Ermittlungsverfahren.“

Die kriminellen Mitglieder von türkisch-arabischstämmigen Großfamilien mit Bezügen zur Bevölkerungsgruppe der Mhallamye oder zum Libanon haben das Sicherheitsgefühl der Bürger erheblich beeinträchtigt. Viele Großfamilien sind während des Bürgerkriegs im Libanon zwischen 1975 und 1990 nach Deutschland eingewandert. Nicht wenige ließen sich im Ruhrgebiet nieder. „Natürlich ist ein Großteil inzwischen in unsere Gesellschaft integriert“, erläutert BAO-Chef Röser. Andere aber seien in die Kriminalität abgerutscht. Im Raum Essen wohnen mehr als 10.000 Angehörige dieser Großfamilien. Davon begehen jährlich etwa drei Prozent Straftaten.

„Diese Straftäter sind unsere Zielgruppe. Manche leben noch immer in Parallelwelten mit eigenen Regeln und Werten“, kommentiert ein Ermittler der BAO. Ein halbes Dutzend Clans sind in Essen bislang besonders negativ in Erscheinung getreten. Die Zahl der Mehrfachtäter ist hoch. Rund fünf Prozent der Tatverdächtigen waren im vergangenen Jahr jeweils für fünf oder mehr Straftaten verantwortlich. Die meisten sind männlich und unter 30 Jahre alt.

„Bei Konflikten untereinander wenden sich die Clanfamilien oft nicht an die Polizei, sondern an – im deutschen Recht nicht legitimierte – Friedensrichter aus ihrer eigenen Community“, beleuchtet der 34-jährige Kriminaloberkommissar die Abkoppelung von der übrigen Gesellschaft. Die Männer hätten die Aufgabe, das Ansehen der Familie zu mehren und finanzielle Ressourcen für die Familie zu beschaffen. „Mit legalen Mitteln klappt das aber manchmal nicht.“ Staatliche Vertreter würden häufig bedroht und beleidigt. „Das fängt schon bei Politessen und Müllwerkern an.“ Ganz wichtig sei es, immer wieder und respektvoll mit den Leuten zu reden, damit sie Vertrauen in unser System schöpfen, sagt der Ermittler.

„Wir kümmern uns intensiv um die Opfer von kriminellen Clanangehörigen“, stellt Frank Fesselmann fest, der Leiter des Einsatzabschnitts Prävention und Opferschutz. „Wir unterstützen alle, die vor Gericht gegen mutmaßliche Täter aussagen wollen, und zeigen straffälligen Kindern und Jugendlichen alternative Wege auf.“

An den Wochenenden, aber auch zweimal unter der Woche fährt die Bereitschaftspolizei mit den Netzwerkpartnern Großeinsätze. „Natürlich schlagen wir zu unterschiedlichen Zeiten an wechselnden Orten auf“, erzählt Stratmann. „Damit sich niemand darauf einstellen kann.“

Bei jedem Claneinsatz werden durchschnittlich 10 bis 15 Objekte und bis zu 150 Personen kontrolliert. Jetzt geht es mit mehreren Mannschaftswagen in den Essener Norden nach Katernberg. Die Überprüfung eines Wettbüros steht an, für das sich der Zoll besonders interessiert. Es liegt ein Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts über 500.000 Euro vor. Der Betreiber unterhält mehr als zehn Läden, zahlt aber sehr wenig Steuern. Der Zoll geht davon aus, dass Mitarbeiter nicht angemeldet und Abgaben den Sozialversicherungen vorenthalten wurden.

Drei Wettautomaten lässt der Zoll öffnen. Darin befinden sich aber nur 250 Euro. Auch die Geschäftskasse ist mit rund 750 Euro nicht sehr ergiebig. Insgesamt werden 1.002 Euro sichergestellt. Der Laden ist ziemlich leer. Alles verläuft beinahe geräuschlos. Als Beifang stößt die Polizei auf Schachteln mit Potenzmitteln. „Das gibt noch eine Strafanzeige“, so Stratmann. „Wir haben den Verdacht, dass hier gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen wurde.“

Die Karawane zieht weiter nach Altenessen. In einem Café mit Spielgeräten sind die Gäste irritiert über den spätabendlichen Besuch des Staates. Vorne sitzen einige Ältere beim Tee. Im Hinterraum schauen sich ein paar Jüngere auf einer großen Leinwand zwei Kämpfer an, die in einem Käfig aufeinander eindreschen. Links und rechts stehen Spielgeräte. Es riecht nach Marihuana. Über Fast-ID und einen Datenabgleich stellt sich heraus, dass ein Mitdreißiger per U-Haftbefehl gesucht wird. Ihm wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Bei der Auseinandersetzung zweier Clans – offenbar fühlten sich beide Parteien in ihrer Ehre verletzt – soll der Festgenommene einen unterlegenen Gegner mit einem eingesprungenen Tritt angegriffen und getroffen haben. Stoisch nimmt der Mann hin, dass er nun abgeführt wird.

Unterdessen stellt das Ordnungsamt Verstöße gegen das Nichtrauchergesetz und die Corona-Schutzverordnung fest. Sascha Wehner, Sachbearbeiter für illegales Glücksspiel bei der BAO, erkennt auf den ersten Blick zwei verbotene Spielautomaten. Das kompakte Tischgerät und ein nicht mehr zugelassenes Exemplar mit Holzverkleidung werden beschlagnahmt und wandern in die bereits gut gefüllte Asservatenkammer. Außerdem dürfen sich in dem Laden nur zwei Spielautomaten befinden. Es sind aber vier. Einsatzleiter Stratmann vermutet, dass auf den Betreiber neben dem Strafverfahren mindestens eine saftige Ordnungsstrafe zukommt. „Der ist schon x-mal aufgefallen und doch finden wir jedes Mal etwas.“

Kriminaloberkommissar Wehner sieht im illegalen Glücksspiel einen der vielen Erwerbszweige der kriminellen Clans. „Wir beobachten seit mehr als einem Jahr, dass damit richtig Geld gemacht werden soll.“ Man stoße plötzlich auf viele Geldspielautomaten mit Poker, Black Jack, Baccara und zig weiteren Spielen. Das Gerät schüttet kein Geld aus und ist vermeintlich erlaubt. „Die Apparate kosten in der Anschaffung allerdings etwa 13.000 Euro. Welchen Sinn macht das für kleine Buden?“ Der Kriminaloberkommissar berichtet von einem Fall, bei dem ein Automat monatlich etwa 33.000 Euro Umsatz und 13.000 Euro Gewinn generiert, da die Betreiber sehr wohl Gewinne an die Spieler auszahlen.

Trotzdem ist es der Essener BAO gelungen, gegen die illegalen Aktivitäten der Clans ein Stoppsignal zu setzen – nicht nur beim Zocken. Die Kontrolleinsätze werden einen Monat im Voraus geplant. Die Devise lautet: „Follow the money.“ Geldwäsche wird durch kontinuierliche Überprüfung zweifelhafter Betriebe sowie durch ordnungsrechtliche und strafrechtliche Maßnahmen erschwert. Luxusautos zieht man konsequent aus dem Verkehr. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass als mittellos ausgewiesene Personen – oft Hartz-IV-Empfänger – die eigentlichen Eigentümer sind, verfolgt die BAO mit den Netzwerkpartnern den Sozialhilfebetrug und mögliche Steuerhinterziehungen.

Manche Shishabar musste auch schon schließen, weil das Geschäft aufgrund der konsequenten Verfolgung von Rechtsverstößen immer schwerer geworden ist. Drogendealern, Betrügern, Einbrechern und Wucherern ist man auf der Spur. Die Bilanz der ersten Ermittlungskommissionen und der Intensivtäterbekämpfung: 30 Verurteilte mit insgesamt fast 80 Jahren Haft. Tumultlagen konnte die Polizei deeskalieren. „Es ist in Essen für die Clankriminellen ziemlich ungemütlich geworden“, resümiert Einsatzleiter Bernhard Stratmann. „Vielleicht begreifen auch die Letzten bald, dass unser Staat kein Papiertiger ist.“

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